Mann hält Polaroid-Foto von sich vor sein Gesicht
Wer ist er? | (c) Kyle Glenn/Unsplash

Wer bin ich, und wer sagt mir das?

Der Identität auf der Spur
 
Publiziert: 20.09.2021

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Von Marnie Hux-Ebermann und Mathias Fontana

«Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein.» Dieses Zitat von Johann Wolfgang von Goethe haben viele schon einmal gehört. Goethes Zitat aus seiner Tragödie «Faust» entspringt einer Szene, in der Faust über das Menschsein, über die guten und bösen Mächte der Seele spricht. Er entdeckt auf einem Osterspaziergang ganz neu das Schöne in seiner Umgebung, blickt auf seine vergangenen Tage zurück und lässt allen Druck, alles Müssen, alles Leid zurück und realisiert das «Mensch-Sein- Dürfen». Mit einfachen Worten drückt er aus, dass wir da, wo wir sind, gut sind, egal wie wir sind – frei von allen uns auferlegten Identitäten und Etiketten.

Der weite Weg zum einfach «Sein»
Die Gesellschaft, unsere Herkunft und das System, in dem wir leben, lehrt uns schon in den Kinderschuhen, wer wir sind. Wir wachsen, werden, sind. Wir wurden eingestuft, beurteilt, gelobt und getadelt. Wir wurden Teil der Gesellschaft, sind Eltern, Geschäftsleute, Kinder, Geschwister, Freunde, Junggebliebene, Altgewordene, politisch Positionierte. Wir sind reich oder arm, erfahren, unerfahren, wir sind Pfarrer, Ehefrauen, Sportlerinnen, Musiker, das Aushängeschild einer politischen Gemeinde, einer Firma, eines Turnvereins oder Musikclubs. Die Reihe hört nicht auf. Wir geben uns sogar Etiketten auf den Gebieten, in denen wir besonders gut sind. Ich bin nicht nur Mutter, ich bin eine gute Mutter. Ich bin ein guter Ehemann, eine gute Schreiberin, ein Top-Organisator, -Seelsorger und guter Freund. Dieses «Gut-Sein» gibt uns ein Gefühl von Sicherheit und Annahme. Besonders, wenn unser Umfeld das dann auch gebührend anerkennt. Wir Menschen streben nach Anerkennung. Und wir holen uns diese Bestätigung am effektivsten da, wo wir glauben gut zu sein.

Die fünf Säulen der Identität
Alles, was wir sind oder zu sein glauben, sind Steine, mit denen wir die Säulen bauen, die unsere Identität tragen. Ursula Roderus, Gründerin des Instituts für christlich orientierte Traumabegleitung, beschreibt die fünf Säulen der Identität in einem ihrer Referate wie folgt: Die Säule der Beziehungen: Mein sozialer Stand zeigt mir auf, wie ich eingebettet bin in Familie, Freundschaften und sozialem Netz. Er sorgt dafür, dass ich mich geborgen, zugehörig und gehalten fühle. Der Körper: Der gute Zustand und die Gesundheit des Körpers sind wichtig, um im Leben zu funktionieren, sich wohlzufühlen und alles zu tun, was man muss und möchte. Da sind wir schon bei der dritten Säule – die der Arbeit und Leistung: Ich arbeite, um mein Leben zu finanzieren, Gutes zu tun, mich zu verwirklichen und meinen Teil an das soziale und wirtschaftliche System zu leisten. Ich setze meine Leistung da ein, wo es am meisten Sinn macht und ich im Allgemeinen Gutes beitragen kann. Materielles und Besitz: Mein Besitz, mein Hab und Gut geben mir Sicherheit, Status und gesellschaftliches Ansehen. Die fünfte Säule beinhaltet Werte und Sinn: An was glaube ich, was inspiriert mich, was gibt meinem Leben Sinn? Hier tragen Tradition, Kultur, Werte, Spiritualität, Glauben oder auch Nicht-Glauben ein Stück der Identität.

Auf diesen Säulen bauen wir nun unser Leben auf. Sie tragen unsere Identität. Sie zeigen auf, wer und wie wir sind bzw. was wir zu sein glauben. Doch stimmt das? Sind wir wirklich das, was unser Umfeld, unsere Herkunft und der Stand unseres jetzigen Lebens uns sagen? Was legt meinen Wert fest, wer darf meinen Wert bestimmen?

Verlust unserer Identitäten
Diese Säulen bieten unserer Identität Halt, solange kein Wind, kein Beben, keine Erschütterung, Witterung und Zerstörung sie bedroht. Das Leben ist hingegen voll von Erschütterungen und Schicksalsschlägen, und es geht unweigerlich auf das Alter zu, in dem Körper, Arbeit, Leistung und damit oft auch soziales Gefüge und die Anerkennung schwinden. All unsere Säulen der Identität können langsam, aber auch ganz plötzlich von einem Tag auf den anderen wegbrechen. Der Verlust eines geliebten Menschen, eines Haustieres, der Arbeit, die man gern gemacht hat, ausbleibender Erfolg oder auch finanzielle Schwierigkeiten können uns ganz unvermittelt den Boden unter den Füssen wegreissen. Eine negative Diagnose vom Arzt, ein krankes Kind oder sterbende Eltern können ein tiefes Loch in unser Sein bohren. Bricht eine Säule der Identität weg, hat es Auswirkungen auf die anderen. So geht eine Krankheit oft einher mit gesellschaftlichen Einschränkungen, Arbeitsausfall und möglicherweise finanzieller Einschränkung oder Not. Der Verlust eines geliebten Menschen gräbt an der Säule der Werte und des Sinns. Wo Kräfte, Hoffnung, vielleicht sogar Glaube und Sinn schwinden, sind Isolation, gesellschaftlicher Rückzug oft die Auswirkungen, gefolgt vom Abbau der Arbeitsleistung und des Status. Wie fest stehen letztendlich unsere Säulen, wie gefährlich ist es, ihnen zu trauen, auf sie zu bauen? Dürfen sie mir Identitäten geben? Sagt mir meine Säule der Gesundheit, wer ich bin, dann bin ich im Moment der negativen Diagnose des Arztes und beim Verlust meiner Gesundheit nichts mehr wert. Sagt mir meine Säule der Leistung, wer ich bin, dann bin ich im Moment des Job-Verlustes unwürdig, abgelehnt und bedeutungslos. Sagt mir meine Säule der Beziehungen, wer ich bin, und Partner oder Freunde wenden sich von mir ab, bleibt von mir und meiner sozialen Identität nicht mehr viel übrig. Vor Zerbruch schützen können wir unsere Säulen nicht. Es gehört zum Leben, dass Dinge passieren, die an unseren Grundfesten kratzen, sie sogar komplett wegreissen können. Davor ist niemand gefeit.

Sein – Haben – Tun
Samuel Koch, bekannt durch seinen Unfall während der TV-Sendung «Wetten dass ..?», hat genau das schmerzlich erlebt: Mehrere seiner bis dahin identitätsstiftenden Lebensbereiche waren durch seine Querschnittlähmung auf einen Schlag weg, unerreichbar, vorbei. Sein Körper war von dem Moment an vom Hals abwärts gelähmt. Sein Studium und damit sein Berufswunsch standen auf der Kippe, ob und wie er einen Beruf würde ausüben können, war zunächst unklar. Seine sportlichen Ambitionen als Kunstturner wurden abrupt gestoppt, und seine Beziehungen stark belastet, weil er rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen ist.

Aber obwohl viel im Leben von Samuel Koch wegbricht, verliert dieser weder seinen Lebensmut noch seine innere Stärke. Seine Identität, sein Selbstwert werden durch diese Ereignisse nicht unterspült. Denn Samuel Koch leitet seinen Wert und seine Würde nicht von seinem Tun und von seiner Leistungsfähigkeit ab. Vielmehr weiss er um seine Einzigartigkeit als Mensch und darum, dass allein das ihm einen unschätzbaren Wert gibt. In einem seiner Bücher («StehaufMensch!» von Samuel Koch, adeo Verlag, 2019) schreibt er: «Die allermeisten Leute scheinen nach dem Prinzip zu leben: Tun – Haben – Sein.» Diese Menschen tun etwas, sie erarbeiten, kreieren, verdienen, erreichen, erledigen, lernen. Dadurch haben sie etwas, zum Beispiel Geld, Ansehen, einen Titel oder Abschluss, Erfolg, ein hübsches Äusseres etc. Erst danach sind sie etwas: «Sie sind wer, weil sie etwas getan und erreicht haben. An ihren Errungenschaften messen sie ihren Wert. Ein Prinzip, mit dem man gut und gerne 102 Jahre lang leben und auch glücklich werden kann», schreibt Samuel Koch weiter. Doch was passiert, wenn diese Errungenschaften wegfallen, auf denen viele Menschen ihr «Sein» aufbauen? Koch kehrt daher dieses System um: Sein – Haben – Tun. Allein durch unser Sein, durch unsere Existenz und durch unsere Einzigartigkeit als Menschen sind wir wertvoll. Daraus ergibt sich unser Haben: Wir haben einen Wert, eine Würde, Persönlichkeit. Und aus dem heraus können wir etwas tun und leisten. Samuel Koch hat es schmerzlich erlebt, dass ihm vieles nicht mehr möglich war zu tun. Doch durch die Sichtweise «Sein – Haben – Tun» ist seine Identität durch den Verlust nicht verloren gegangen.

Ewige Identität in Gott
Ziehen wir unsere Identität und unseren Wert aus unserem Sein, kommt noch eine weitere, göttliche Dimension zum Tragen. Denn als Menschen haben wir uns nicht selbst erfunden und geschaffen. In der Bibel finden wir bereits auf den ersten Seiten Informationen zu unserem Ursprung und unserer Identität: Wir sind gewollt und erschaffen als Ebenbilder Gottes, gesegnet und bewertet als «sehr gut» (1. Mose 1, 27-31). Man muss sich das einmal vor Augen führen: Der Erfinder und Schöpfer des Universums hat mich gewollt und gemacht und für sehr gut befunden! Mein Sein ist also göttlichen Ursprungs und hat dadurch einen einzigartigen Wert.

In der Bibel ist immer wieder zu lesen, wie Gott uns sieht und was er von uns denkt. Diese zahlreichen Hinweise und Zusagen zeigen viel über unsere Identität:

  • Wir sind Kinder Gottes (Joh. 1,12)
  • Gott ist ein vollkommener Vater für uns (Matt. 5,48)
  • Gott hat sich unser Leben bereits vor unserem ersten Tag auf dieser Erde vorgestellt (Ps. 139, 16)
  • Gott hat gute Gedanken für uns, Gedanken des Friedens, nicht des Leids (Jer. 29,11)
  • Gott freut sich von ganzem Herzen über uns und jubelt, wenn er an uns denkt (Zef. 3,17)
  • Wir sind von Gott geliebt und mit Gott verbunden (1. Joh. 4, 16)
  • Gott verurteilt uns nicht mehr (Röm. 8,1)
  • Nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen (Röm. 8,39)
  • Wir werden mit Gott zusammen die Ewigkeit verbringen (Joh. 14, 2-3)

Gott spricht über uns aus, wer wir wirklich sind. Er spricht uns unsere wahre Identität ins Herz. Der Boden, auf dem wir unsere Identität bauen ist seine Verheissung, dass wir zuallererst Kinder Gottes sind. Dieses Geheimnis verstehen wir oft erst, wenn wir in Dankbarkeit Gott gegenüber auf das Geschehene zurückblicken. Wir erkennen, wo Gott aus den Trümmern unserer Lebenssäulen Gold gemacht hat. Zerbrechen unsere tragenden Pfeiler, sieht er bereits über den Verfall hinaus auf das Wesentliche: dass wir seine geliebten Kinder sind. Aus Liebe richtet er die Säulen wieder her, stützt sie und baut neue, wo nötig. Durch ihn errichtete Pfeiler sind schöner, heller und tragfähiger als Menschen sie je bauen können. Seine Zusagen gelten. Sie galten gestern, gelten heute, morgen und für immer. Unser von Gott gedachtes, zutiefst geliebtes Ich wurde vor Grundlegung der Welt geschaffen, für die Zeit auf dieser Welt und für die Ewigkeit. In dieser Welt und unserem Verstand werden wir das vielleicht nie verstehen, aber unsere Herzen ahnen es …

© Online-Redaktion ERF Medien
 
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