Hirten, die wohnten am Rand der Stadt. Führten ein hartes Leben, das keinem etwas schenkte. Und waren abergläubisch dazu! So abergläubisch, dass die aufgeklärten Bürger von Bethlehem die Nase rümpften. Die Hirten verstanden sich aufs Handlesen und kannten die Bedeutung der Sterne. Wussten genau, was von einem Kometen zu halten sei. Ein Unglücksbote war das, Anzeiger des Weltuntergangs. Vom Weltuntergang und jüngsten Gericht redeten die Hirten überhaupt oft und warteten darauf. Wenn sie in kalten Nächten an den Lager feuern hockten, erzählten sie einander von dem kommenden Weltende, da Gott zum Gericht komme und keinem etwas schenke. Den fetten Bürgern in der Stadt mochten sie‘s gönnen, wenn ihre eigensüchtige Welt zu ende ging. Zugleich jedoch fürchteten sie selber das Kommende auch. Was, wenn der Gott, der da kam zum Gericht, was, wenn es der Gott der Pharisäer war, ein moralischer Haarspalter und Gesetzes klauber, der nicht Ruhe hatte, bis jede Schuld heimgesucht war, und sei‘s bis ins dritte und vierte Geschlecht? Anders vermochten ja auch die Hirten sich Gott nicht zu den ken. Ihrem harten Leben entsprach ein harter und rachsüchtiger Gott. Sie hatten selber nie anderes erlebt, als dass jede kleinste Schuld bei ihnen eingetrieben wurde, bis das Blut unter den Fingernägeln hervorspritzte.
Die Hirten sahen den Kometen sofort, als er nach Mitternacht am westlichen Himmel aufging. «Und sie fürchteten sich sehr », heisst‘s in der Weihnachtsgeschichte von ihnen. Da war das Zeichen, und hatten sie‘s manchmal herbeigewünscht, so war‘s jetzt, da es am Himmel erschien, doch ein gewaltiger Schrecken für sie. Als die Engel riefen: «Fürchtet euch nicht», war das für die Hirten kein Grund zur Beruhigung. Das hatte schon hundertmal jemand zu ihnen gesagt, und immer hatten sie dennoch Grund gehabt, sich zu fürchten.
Mit Furcht und grossem Schrecken gingen sie schliesslich, zögernd genug, nach Bethlehem hinein. Man musste wissen, was geschehen war. Den Heiland hatte der Engel angekündigt. Doch was hiess‚ Heiland? War das ein neuer König? Dann hatten sie nicht viel davon. Oder war das Gott selber? Dann bestand erst recht Grund zur Angst. Wer zerfiele nicht zu Staub, wenn er vor Gott erscheinen muss?
Sie sahen den Stern über dem Stall stehen. Der Morgenstern war‘s. Luzifer, wie man ihn nennt. Das heisst zwar ‚Lichtbringer‘, aber zugleich ist‘s der Name für den Teufel. Genauso zweifelhaft und verteufelt war es den Hirten zumute, fast als
gingen sie zur eignen Hinrichtung. Wochen vorher schon hatte weit im Süden, jenseits der Grenze, der König von Saba den Stern am Himmel gesehen. «Was soll das bedeuten?», fragte er seinen Sterngucker. Der tippte auf Jerusalem.
Jerusalem war kein guter Name für den König von Saba. Seit tausend Jahren, seit Davids Zeiten, hatte man sich immer gegen die Herrschaftsansprüche Jerusalems wehren müssen. Und seit in Jerusalem der König Herodes mit römischer
Hilfe auf dem Thron sass, musste man jederzeit damit rechnen, dass er Gelüste auf das Südland bekam.
Der König von Saba berief eine Konferenz seiner Kollegen aus der Nachbarschaft ein. Die hatten den Stern auch gesehen und waren auch voll Sorge. Stern am Himmel, das hiess Krieg. Der Sterngott war im ganzen Südland der oberste Gott. Und der verkündete, dass es in Ewigkeit so sei, dass jeder sich sein Leben erkämpfen müsse, und dass der Krieg der Vater aller Dinge sei.
Gegen Jerusalem und vollends gegen Rom waren die Könige des Südlands nicht stark genug. Was tun? Am besten, man schickte hin und huldigte dem neuen Mächtigen, dessen Zeichen am Himmel stand. Vielleicht, dass es gelang, sich so ein Stück eigener Macht zu bewahren. Die Konferenz der Könige, erfahren in den Fragen der Macht, mit allen politischen Wassern gewaschen, beschloss, eine Dreierdelegation nach Jerusalem zu schicken. Geschenke wurden ihnen mit gegeben, dass ihre Worte Gewicht bekämen.
Es war keine angenehme Aufgabe, im Zeichen des Sterns nach Jerusalem zu reisen. Wer konnte wissen, ob es nicht das Leben kostete. Als die drei nach Jerusalem kamen und den König Herodes noch auf seinem Thron fanden, erstaunten sie. Er sei gestürzt, hatten sie erwartet. Könige steigen und stürzen, und wenn sie stürzen, stürzen sie tief – so will es das Gesetz der Welt. Und als die drei dem König Herodes von dem Stern und dem neu zu erwartenden König berichteten, fuhr auch dem der Schreck in die Knochen, als breche der jüngste Tag über ihn herein.
Doch über Jerusalem machte der Stern nicht Halt. Er führte die Königs delegation zur kleinen Stadt Bethlehem. Dort blieb er stehen über einem Stall. Die drei sahen, dass schon Hirten in der Nähe waren und mit einer Mischung aus Neugier und Angst nach dem Stern am Himmel schauten. Niemand begehrte, als Erster in den Stall hineinzugehen. Gern liessen diesmal die hohen Könige den niedern Hirten den Vortritt.
Was erwarteten sie? Einen auf einem Thron vielleicht, das Schwert des Gerichts in der Hand, der mit unbestechlichem Blick jeden musterte, der vor ihn trat, und mit Worten, die wie Messer ins Herz fuhren, jeden befragte, bis der keine Worte mehr hatte. Und dann senkte der auf dem Thron das Schwert und man wurde abgeführt in die Kerker der Ewig keit, wo kein Licht war. Kann etwas anderes Gott sein als solche eiserne Unbestechlichkeit und eherne Gesetzmässigkeit?
Sie treten ein. Sie sehen im Licht des Sterns das Bild. Eine Futterkrippe. Darin das neugeborene Kind.