Der achte Tag
Es wurde Abend und wieder Morgen. Adam und Eva werden sanft wachgerüttelt. Als sie ihre Augen langsam öffnen, ist Gottes Gesicht wieder ganz nahe: «Heute geht es los!», sagt er und kann seine Vorfreude kaum verbergen. Die Menschen setzen sich auf und fühlen sich plötzlich ganz klein. Heute geht es los? Womit sollen sie überhaupt beginnen? Und was, wenn sie etwas falsch machen? Weiss Gott, dass sie keine Ausbildung, keine Zertifikate und erst recht keine Erfahrung haben? Doch sie müssen sich beeilen, Gott ist schon losgelaufen. Er führt die Menschen zu einer Herde namenloser Tiere: «Die habe ich vor Kurzem erschaffen, aber sie haben noch keine Namen», sagt er und fügt mit einem Augenzwinkern an: «Mir ist nichts Passendes eingefallen – denkt euch Namen aus!» Er dreht sich um und schlendert langsam davon. «Wir sehen uns heute Abend beim Spaziergang!», ruft er über die Schulter und fügt an: «Seht ihr den Baum dort? Esst nicht von seinen Früchten. Bis dann!» Adam und Eva stehen verlegen und hilflos da, während die Tiere sie mit grossen Augen mustern. Traut Gott ihnen das wirklich zu?
Den ganzen Tag verbringen die beiden damit, Tiere zu benennen: Kuh, Elefant, Ameise, Schwein – zuerst geben sie die Namen nur zögerlich, doch langsam bekommen sie Übung und es fängt sogar an, Spass zu machen. Beim abendlichen Spaziergang haben die Menschen so viel zu erzählen, dass Gott kaum zu Wort kommt. Lachend erzählen sie vom Ameisenbären, von der Gottesanbeterin und vom Blobfisch. Mitten im Satz hält Adam inne und sieht Gott fragend an: «Gott, was meinst du – haben wir es gut gemacht?» – «Ja natürlich, macht euch keine Gedanken!», antwortet Gott und fügt lächelnd an: «Ihr müsst ja mit den Namen leben.»
Gott traut dem Menschen viel zu. Die Möglichkeiten sind schier endlos. Gott erschafft einen Lebensraum, einen Garten, den der Mensch füllen kann. Er gibt ihm die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen – darin enthalten ist sogar die Freiheit, Fehler zu machen. Gottes Gebote regeln nicht jede Handlung bis ins Detail. Sie sind Leitlinien für unser Leben. Sie umreissen Handlungsfelder und Lebensräume und geben damit dem Menschen Raum fürs Leben. Das ist beängstigend, wenn man an ein zu enges Gottesbild gewöhnt ist – aber es kann unglaublich befreiend sein.
Der vierzehnte Tag
Es wurde Abend und wieder Morgen. Abend und wieder Morgen. Langsam gewöhnen sich Adam und Eva an ihren Lebensrhythmus. Tagsüber arbeiten, abends spazieren. Regelmässige Teambesprechungen miteinander und mit Gott. Am Abend des dreizehnten Tages erklärt Gott die Arbeitswoche für beendet. Die beiden Menschen lassen sich müde, aber erfüllt in das weiche Moos fallen und schlafen bald ein. Am nächsten Morgen wachen sie auf und finden Gott wieder in der Hängematte. Es ist der vierzehnte Tag. Wieder Sabbat. Nach einem ausgiebigen Frühstück schlendern Gott und die Menschen durch den Garten. Die Menschen zeigen Gott, was sie in dieser Woche gemacht haben. Sie gehen an neu benannten Tieren vorbei und sehen sich die Pflanzen an, die sie liebevoll gepflegt haben. Einiges hat auf Anhieb gut funktioniert, bei anderen Aufgaben besteht noch Verbesserungsbedarf. Sie nehmen sich Zeit, mit Gott über ihre Erfahrungen zu reflektieren, den Garten abzuschreiten und endlich die wohlverdiente Ruhe in Anspruch zu nehmen.
Sechs Tage. So lange lässt Gott den Menschen Zeit, um zu planen, Strategien zu entwickeln und Fehler zu machen. So lange lässt er ihnen Zeit, bis er wieder einen ganzen Tag mit ihnen verbringen möchte. Gemeinsam tauchen sie aus dem Alltag auf, schauen zurück und blicken nach vorn. Und feiern die gemeinsame Zeit.
Der heutige Tag
Es wurde Abend und wieder Morgen. Jetzt sind Sie dran. Was ist Ihr Garten? Was ist Ihr Auftrag? Und was ist Ihr Gottesbild? Gott ist nicht der strenge Lehrmeister, der schadenfreudig hinter dem nächsten Busch kauert und nur auf Ihr Scheitern wartet, damit er Sie hart bestrafen kann. Gott freut sich, wenn den Menschen etwas gelingt. Er hat der Menschheit die Fähigkeit gegeben, schöpferisch-kreativ tätig zu sein, neue Ideen zu entwickeln und ihren Lebensgarten zu gestalten. Wie würde ein Leben mit einem Gott aussehen, der Ihnen viel zutraut? Wie würden Sie glauben, handeln und Entscheidungen treffen mit einem Gott, der Ihnen Freiraum gibt und Mut zuspricht?
Und ja, es stimmt: Ich habe nicht die gesamte Geschichte erzählt. Den Tag X, als das Projekt grandios scheiterte, habe ich ausgelassen. Diesen tragischen Moment, als die Menschen von der verbotenen Frucht assen und den Garten verlassen mussten. Aber ist das Projekt wirklich gescheitert? In meiner Bibel hat Gott einen langen Atem. Er wird an den Menschen nicht ratlos. Gott schreibt seine Geschichte mit Adam und Eva und ihren Nachkommen behutsam weiter. Die Trennung ist real, aber das letzte Wort gehört Gott. Die Geschichte Gottes mit den Menschen findet ihren unbestrittenen Höhepunkt, als sein Sohn Jesus Christus die Weltbühne betritt. Mit seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung überwindet er alles, was die Menschen von Gott trennen konnte. Er ist Gottes brillanteste Idee und gleichzeitig der höchste Ausdruck seiner Liebe zu uns Menschen. Jesus stellt die Beziehung zwischen Gott und Mensch wieder her. Tägliche Spaziergänge mit Gott sind ab sofort wieder möglich! Ich habe gehört, er warte bereits vor der Haustüre auf Sie.
Zur Person Dave Brander
Er arbeitet als Pastor in der FEG Riehen. Ausserdem ist er freiberuflich als Prediger, Musiker, Gemeindeberater und Kindergeschichtenerzähler tätig. Er lebt mit seiner Familie in Riehen bei Basel.