Von Wolfgang Steinseifer
Ungerecht finde ich das, einfach ungerecht. Alle Welt nennt mich den «ungläubigen Thomas». Als sei ich ungläubiger gewesen als meine Kolleginnen und Kollegen. Dabei hat niemand von denen auch nur einen Funken Glauben und Hoffnung gehabt, nachdem alles zu Ende war.
Alle haben sie sich verkrochen, als man unseren Freund und Lehrer Jesus als Terroristen angeklagt, gefoltert und brutal exekutiert hatte. Petrus, Johannes, Jakobus, Maria, Salome … Keiner von den paar letzten Mohikanern, die sich nach der Hinrichtung unseres Rabbis überhaupt noch klammheimlich zu treffen wagten, hat geglaubt, dass es irgendwie weitergehen würde. Was uns zusammenhielt, waren Erinnerungen. Und Trauer. Und Enttäuschung, abgrundtiefe Enttäuschung. Wir hatten gemeint, Jesus sei der Retter Israels und der ganzen Welt. Welche Aufbruchstimmung hatte uns erfasst, welche Erwartungen hatten uns beseelt! Und jetzt war er tot.
Tot – ER! Wieder mal ein falscher «Messias», ein falscher «von Gott gesandter Erlöser», wie es schon so viele in der Geschichte unseres Volkes gegeben hatte. Da waren wir uns einig. Ich, der «ungläubige Thomas»? Da befand ich mich aber in bester Gesellschaft! Und das ist ja auch nicht wirklich verwunderlich. Tot ist tot. Das ist so sicher wie das Amen in der Synagoge. Was gibt es denn da noch zu glauben? Unser Freund Johannes, der einzige aus unserem engsten Kreis, der – neben ein paar Frauen – bei der Hinrichtung dabei war, wurde nicht müde, uns gebetsmühlenartig zu versichern: «Ich hab gesehen, wie sie ihn gefoltert haben. Ich hab miterlebt, wie er qualvoll gestorben ist. Ich hab seinen Todesschrei mit eigenen Ohren gehört. Ich hab zuschauen müssen, wie einer ihm die Lanze in die Seite gebohrt hat. Da kam Blut und Wasser raus. Er ist tot. Mausetot. Begraben wir ihn und mit ihm unsere Träume!»
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